Von Andrej Priboschek

Eine Vielzahl von Lehrern in Deutschland fremdelt immer noch mit der Digitalen Bildung. Nur jeder fünfte glaubt, dass digitale Medien dazu beitragen, die Lernergebnisse seiner Schüler zu verbessern, so ergab unlängst eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung. Die Skepsis ist kein Wunder: Viel zu oft noch werden die Pädagogen in der Kommunikation zum Thema vergessen.

Was lernen Schüler mit digitalen Lernmitteln, was sie nicht auch aus Büchern lernen können? Vielen Lehrern ist das nicht klar. Foto: Shutterstock

„Um die Potenziale digitaler Medien beim Lehren und Lernen systematisch auszuschöpfen, müssen Lehrende befähigt werden, digitale Kompetenzen zu vermitteln und dabei auf passgenaue didaktische Konzepte zum Lernen mit digitalen Medien zurückgreifen können“, so heißt es etwas hochtrabend im Strategiepapier „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft“ des Bundesbildungsministeriums.

Aber was sind denn, bitteschön, die Potenziale digitaler Medien beim Lehren und Lernen? Dazu lassen sich in der stattlichen 36-seitigen Broschüre ganze zwei Sätze finden: „Unbestritten ist, dass digitale Technologien, Anwendungen und Programme Wege für einen flexiblen, zeit- und ortsunabhängigen Bildungserwerb eröffnen. Sie können individualisiertes und kooperatives Lernen erleichtern und helfen, Inklusion zu verwirklichen.“ Aha.

Nun kennen Lehrer „einen flexiblen, zeit- und ortsunabhängigen Bildungserwerb“ schon länger: Er heißt „Hausaufgaben“– und ist nicht an die Nutzung eines Computers gebunden. Auch der zweite Punkt überzeugt Lehrerinnen und Lehrer nicht wirklich. Wie digitale Technologien „individualisiertes und kooperatives Lernen erleichtern und helfen, Inklusion zu verwirklichen“ – das bleibt ihrer Fantasie überlassen (und die sagt ihnen meist: Hier kommt viel Arbeit auf mich zu). Konkretere Aussagen dazu, gar Praxisbeispiele, finden sich nicht.

Das Hochglanz-Heft des BMBF illustriert das Problem: Die Kommunikation geht an den wichtigsten Akteuren vorbei – den Lehrerinnen und Lehrern. Was bringt die Digitalisierung für ihren Unterricht? Wie groß ist der Aufwand für die Einführung? Welcher pädagogische Ertrag steht dem gegenüber? Welche organisatorischen Erleichterungen sind für den Schulbetrieb möglich? Wie ändert sich die Lehrerrolle? Und überhaupt: Was lernen Schüler mit digitaler Technik, was sie aus Büchern nicht lernen können?

Etliche Anbieter digitaler Lerntechnik präsentieren sich auf der “didacta”. Foto: Messe Stuttgart

Immerhin: Die Anbieter digitaler Lernmedien haben schon mal ihre erste Lektion gelernt. Dominierten früher auf Hochglanz gebürstete High-Tech-Stände, die auch auf der Computermesse Cebit hätten stehen können, die Bildungsmesse „didacta“, so kamen in diesem Jahr selbst die Giganten der Branche bescheiden daher. Ob Google, Adobe oder Samsung – sie alle präsentieren sich den Besuchern als Partner auf Augenhöhe. Statt smarter Verkaufsberater tummelten sich nicht selten echte Lehrkräfte auf den Ausstellungs- und Aktionsflächen, Pädagogen, die Freude daran haben, die neuen Möglichkeiten der digitalen Bildung in Projekten an ihren Schulen auszuloten. Und die nun von ihren Erfahrungen berichteten, offen, ungeschönt, auch die Schwierigkeiten nicht verschweigend.

Ohne Schnickschnack

Das ist der richtige Weg. Lehrer sind keine Zielgruppe, die sich mit brillianter Optik und technischem Schnickschnack begeistern ließe. Wer Pädagogen für digitale Lernmedien gewinnen möchte, muss ihnen anschaulich machen, dass diese mehr sind als die Fortsetzung des zu Hause von Kindern ohnehin schon im Übermaß betriebenen Medienkonsums. Dass es nicht darum geht, den Unterricht schriller und bunter zu machen, um mit Fernsehen und Internet in eine Art Rüstungswettlauf um die Aufmerksamkeit der Kinder und Jugendlichen treten. Und dass es auch nicht darum gehen kann, die Schule mit immer neuen Inhalten zu überfrachten.

So wichtig für junge Menschen Internetkompetenz und Grundkenntnisse im Programmieren sein mögen – wer fordert, dass sich Schule verstärkt solchen Themen widmen soll (wofür es ja sehr gute Gründe gibt), muss ehrlicherweise auch erklären, woher die Zeit dafür kommen soll. Stundenpläne sind ebenso wenig beliebig erweiterbar wie die Arbeitskraft einer Lehrkraft, und die Lehrerinnen und Lehrer haben auch heute schon genug Inhalte zu vermitteln. Wer an einer Stelle etwas hinzugibt, muss an anderer Stelle etwas wegnehmen. So einfach ist das. Lehrkräfte, die immer wieder erfahren müssen, dass Politik und Gesellschaft sie mit Erwartungen überfrachten (ob Ernährung, Wirtschaft oder zivilisiertes Benehmen – welches als defizitär wahrgenommene gesellschaftliche Thema soll Schule eigentlich nicht bearbeiten?), sind an dieser Stelle misstrauisch. Und das ist ihnen kaum zu verübeln.

Wer das Gros der Lehrkräfte für digitale Lernmedien gewinnen will, muss vielmehr deutlich machen, welche Chancen im Einsatz liegen – heißt: dass digitale Lernmedien das Instrumentarium pädagogischer Arbeit erweitern und damit Lehrkräften neue Lösungsmöglichkeiten für Probleme bieten, die im Unterricht auftreten. Sie können die Arbeit erleichtern. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Ein anschauliches Beispiel: Die meisten Lehrer beklagen, das haben Umfragen deutlich gemacht, eine Verschlechterung der Handschreib-Fähigkeiten der Schülerschaft. Bei immer mehr Kindern werden schreibmotorische Schwächen ausgemacht. Die Lehrkräfte wünschen sich mehrheitlich mehr Unterstützung dabei, die Schreibmotorik vorbereitend besser zu fördern. Tatsächlich gibt es von Wissenschaftlern getestete Apps verschiedener Anbieter, die genau das zu leisten vermögen – nämlich ein spielerisches Training der Hand- und Fingerkoordination auf dem Tablet. Ist es denn unbedingt nötig, so mögen Skeptiker fragen, dafür ein digitales Medium einzusetzen? Nein, natürlich nicht. Aber es ist praktisch und effizient. Pädagogen in Kitas oder Schulen, die mit der Technik arbeiten, müssen sich nicht selbst erst einmal zum Thema fortbilden und auch kein Material auf Papier vorbereiten und bereitstellen. Heißt: die Chancen, dass Kinder überhaupt eine besondere schreibmotorische Förderung bekommen, steigen mit den neuen Möglichkeiten.

Vielfältige Einsatzmöglichkeiten

Das ist ein Beispiel, es gibt viele andere: ob Flüchtlingskinder, die kein Wort Deutsch sprechen, ihre ersten Erfahrungen mit dem zu lernenden Vokabular mit Hilfe einer eigens für sie entwickelten Lernapp machen, ob digital standardisierte und leicht auswertbare Tests in Mathematik oder Rechtschreibung dazu beitragen können, Schwächen und Stärken von einzelnen Schülern besser zu erkennen und damit das Diagnoseinstrumentarium von Lehrkräften erweitern, ob lernunwillige Schüler durch Programme, die die kreativen Möglichkeiten in Bereichen wie Gestaltung, Foto und Film enorm erweitern, neu motiviert werden können – die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig.

All‘ diese Chancen darzustellen, das ist nun Aufgabe derjenigen, die Digitale Bildung in Deutschland voranbringen möchten. Sie müssen deutlicher als bisher klarmachen, dass digitale Lernmedien kein Selbstzweck sind, sondern Lehrkräften bei der Bewältigung ihrer enormen Herausforderungen helfen können. Das gelingt in der Breite noch nicht. Viel zu oft wirken die vorgestellten Beispiele für den Einsatz in der Praxis noch als gut gemeinte Ideen, die Projektwochen vor den Sommerferien vielleicht interessanter machen könnten, den tagtäglichen Unterricht und vor allem die Alltagsprobleme aber kaum berühren. Allerdings lassen zumindest die Konzerne ja durchaus erkennen: Sie sind lernfähig.

 

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